Missbrauchsfall Lügde
Der Missbrauchsfall
Lügde ist ein Kriminalfall des schweren
sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie der Produktion und
Verbreitung von Kinderpornografie in Lügde in Nordrhein-Westfalen. Tatort war ein Campingplatz im
Ortsteil Elbrinxen zwischen
Anfang 2008 und Dezember 2018. Die Staatsanwaltschaft Detmold geht von 1000 Einzeltaten
innerhalb von rund 10 Jahren aus. Der Fall wurde am 29. Januar 2019 von den
Ermittlungsbehörden öffentlich bekannt gegeben.[1] Zudem weitete sich der Fall zu
einem Polizeiskandal aus. Am 27. Juni 2019 begann der Prozess gegen die
drei Angeklagten vor dem Landgericht Detmold und
alle räumten die Taten am ersten Verhandlungstag ein.[2]
Tatverdächtige und
Tatgeschehen
Die mutmaßlichen
Haupttäter sind drei Männer. Der 56-jährige alleinstehende und arbeitslose
Hauptverdächtige Andreas V. aus Lügde lebte seit über 30 Jahren auf einem
Campingplatz im Lügder Ortsteil Elbrinxen. Als Dauercamper bewohnte er eine
selbst errichtete Holzhütte und nutzte einen Wohnwagen. Er sitzt seit dem 6.
Dezember 2018 in Untersuchungshaft;
die beiden anderen Hauptverdächtigen sind seit dem 10. bzw. 11. Januar 2019
inhaftiert.
Der Hauptbeschuldigte
Andreas V. und der 33-jährige arbeitslose Tatverdächtige Mario S. aus Steinheim sollen
auf dem Campingplatz Kinder gefilmt und missbraucht haben. Der dritte,
48-jährige Tatverdächtige Heiko V. aus Stade sei
der Auftraggeber dafür gewesen. Er soll nie in Lügde gewesen sein, habe aber
das Geschehen über das Internet verfolgt und gesteuert.[3]
Kontakt zu Kindern
erlangte der Hauptverdächtige dadurch, dass er 2016 Pflegevater eines damals
sechsjährigen Mädchens geworden ist. Seit dieser Zeit sollen sich die meisten
Übergriffe ereignet haben. Über das Mädchen habe der Hauptverdächtige Kontakt
zu anderen Kindern hergestellt und für eine angenehme Atmosphäre gesorgt, etwa
durch Ausflüge ins Schwimmbad.
Im Laufe der Ermittlungen
weitete sich der Täterkreis um fünf weitere Verdächtige wegen Strafvereitelung und Beihilfe auf
insgesamt acht Personen aus. Ein weiterer Verdächtiger ist ein 16 Jahre alter
Jugendlicher, der kinderpornografisches Material besessen haben soll, das auf
dem Campingplatz entstanden sei.[4]
Im Laufe der Ermittlungen
wurden zunächst 31 Opfer im Alter von 4 bis 13 Jahren bekannt, bei denen es
sich um 27 Mädchen und vier Jungen aus dem Umfeld des Campingplatzes handelte.
In mehr als 1000 Fällen wurden sie Opfer sexuellen Missbrauchs.[5] Zu den Opfern zählte auch das
Mädchen, das im Jahr 2016 als Pflegekind in die Obhut des Hauptverdächtigen
kam.
Am 14. März 2019
berichtete der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) vor dem Innenausschuss
des Landtags
Nordrhein-Westfalen über mindestens 34 Kinder (28 Mädchen und
sechs Jungen) Opfer, und weitere 14 Verdachtslagen. Im April 2019 stieg die
Zahl auf mindestens 40 Kinder und zwölf weitere Verdachtsfälle.[6]
Bereits im Jahr 2016
gingen bei der Polizei Lippe zwei Hinweise auf sexuellen Missbrauch durch den
Hauptverdächtigen ein.[7]
Eine 9-Jährige hatte sich
ihrer Mutter gegenüber am 3. August 2018 offenbart, dass sie im Juni/Juli 2018
auf dem Campingplatz in Lügde sexuell missbraucht wurde. Die Mutter erstattete
aber erst am 20. Oktober 2018 aus Angst vor dem Beschuldigten bei der Polizei
in Bad Pyrmont Anzeige. Am 20. Oktober 2018
wurden die Mutter und das Kind im Polizeikommissariat Bad Pyrmont vernommen.
Die 9-Jährige machte in dieser Anhörung Angaben zu mehrfachem sexuellem
Missbrauch durch den Hauptbeschuldigten zu ihrem Nachteil und zum Nachteil
seiner Pflegetochter, mit der das Mädchen befreundet war. Polizeibeamte hätten
die Informationen an das Jugendamt weitergeleitet, aber keine weiteren Schritte
unternommen.[7]
Ermittlungen und
Beweismittel
Kreispolizeibehörde
Lippe und Ermittlungskommission „Camping“
Nachdem am 20. Oktober
2018 beim Polizeikommissariat Bad Pyrmont eine Anzeige wegen des
Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs gestellt worden war, erfolgte am
12. November 2018 die Weiterleitung des Ermittlungsvorgangs an die
zuständige Kreispolizeibehörde Lippe in Detmold, wo sie das Fachkommissariat für
Sexualdelikte übernahm. Am 13. November 2018 informierte die Kreispolizeibehörde
Lippe telefonisch das Jugendamt Blomberg über die Erkenntnisse zum sexuellen
Missbrauch der Pflegetochter. Noch am gleichen Tag wurde das 6-jährige Mädchen
durch Mitarbeitende des Jugendamtes Blomberg in Obhut genommen. Aufgrund
verschiedener durch die Kindsmutter veranlasster Terminverschiebungen erfolgte
die Anhörung des Mädchens erst am 28. November 2018. Bei dieser Anhörung
erfolgte ein Hinweis der Mutter auf ein weiteres Opfer aus dem Bekanntenkreis.
Am 4. Dezember 2018
beantragte die Kreispolizeibehörde Lippe beim Amtsgericht Detmold einen
Durchsuchungsbeschluss für die Wohnungen des Hauptbeschuldigten (u. a. das
Tatobjekt auf dem Campingplatz in Lügde) und einen Untersuchungshaftbefehl. Dem
wurde am Folgetag stattgegeben, und am 6. Dezember 2018 erfolgten die
Verhaftung des Hauptverdächtigen Andreas V. und die Sicherstellung zahlreicher
Beweismittel.
Am 13. Dezember 2018
richtete die Kreispolizeibehörde Lippe die Ermittlungskommission (EK) „Camping“
mit zunächst vier Beamten ein und erhöhte die Zahl am 17. Dezember 2018 auf
acht bis zeitweise neun Beamte. Bis zum 16. Dezember 2018 berichtete die
Kreispolizeibehörde Lippe über neun beweiserheblich festgestellte Fälle des
schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und die diesbezüglich veranlassten
Maßnahmen dem Landeskriminalamt
Nordrhein-Westfalen, das diesen Bericht anschließend auch dem
nordrhein-westfälischen Innenministerium zuleitete.
Im weiteren Verlauf der
Bearbeitung des Falls wurde am 21. Februar 2019 öffentlich bekannt, dass
offensichtlich seit mehreren Wochen Beweismaterial in Form von 155 Datenträgern
auf ungeklärte Weise aus einem Dienstraum der Kreispolizeibehörde Lippe
verschwunden war, ohne dass dies jemand zur Kenntnis genommen hatte. Die
verschwundenen Datenträger waren am 20. Dezember 2018 zuletzt gesehen worden und
der Verlust erst Mitte Januar 2019 aufgefallen. Die Staatsanwaltschaft Detmold
wurde erstmals am 13. Februar 2019 mündlich und am 14. Februar 2019 schriftlich
über das Verschwinden der Beweismittel informiert. Am 6. März 2019 eröffnete
hierzu die Staatsanwaltschaft Detmold ein Strafverfahren gegen Unbekannt wegen
Diebstahls.
Der
nordrhein-westfälische Innenminister Reul sprach den Vorfall betreffend von
einem „Polizeiversagen“. Die örtliche Behörde räumte eine „eklatante
Fehlleistung“ durch einen Kommissariatsanwärter ein, der eine Mappe mit 49 CDs
und einen Alu-Koffer mit 106 CDs auf einem Schreibtisch liegen gelassen hatte,
und beauftragte einen unabhängigen Kommissariatsleiter mit einer Untersuchung.
Der Kommissaranwärter sichtete 155 Datenträger. Ausweislich der Protokollierung
der Auswertesoftware hatten die Beamten der IT-Unterstützung der
Kreispolizeibehörde Lippe bis dahin fünf externe Festplatten, 18 in Computern
eingebaute Festplatten, drei CD/DVDs, zwölf SD- und microSD-Karten, zehn
Mobiltelefone und Tablets, neun USB-Sticks und fünf Digitalkameras (DigiCam)
gesichtet.[8] Der Bund
Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sprach angesichts der
verschwundenen Beweise von einer „Katastrophe“ für das Ansehen der Polizei.[9] Der Vorsitzende des
nordrhein-westfälischen Landesverbandes des BDK wies auf die seit Jahren
angespannte Personalsituation in Polizei und Justiz hin. Die Staatsanwaltschaft
Detmold teilte mit, dass die Asservate nach ihrer Einschätzung nicht entwendet
worden, sondern aufgrund nachlässigen Umgangs nicht auffindbar seien, ein
Diebstahl aber auch nicht ausgeschlossen werden könne.[10] Nach Angaben des
Sonderermittlers des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen reicht das noch
vorhandene Material aus, um den Hauptverdächtigen zu überführen.[11]
Am 22. Februar 2019
entschuldigte der Leiter der Verwaltung, Landrat Axel Lehmann (SPD), sich bei den
Betroffenen des Missbrauchsfalls und entband den Leiter der Direktion
Kriminalität der Kreispolizeibehörde Lippe von der Wahrnehmung seiner Aufgaben.[12][13] Das nordrhein-westfälische
Innenministerium veranlasste zudem eine Prüfung der Vorgänge durch das Landeskriminalamt
Nordrhein-Westfalen.[14] Am 26. Februar 2019 gab die
Kreispolizeibehörde Lippe in einer Pressemitteilung bekannt, dass das
nordrhein-westfälische Innenministerium die Leitung dieser „kurzfristig neu
aufgestellt“ habe.[15] Auf Anordnung von
Innenminister Reul wurde ebenso der Polizeidirektor der Kreispolizeibehörde
Lippe versetzt.[16][17] Reul berichtete, dass die seit
31. Januar 2019 vom Polizeipräsidium Bielefeld geführten Ermittlungen in zwei
Komplexe „sexueller Missbrauch“ und „Behördenermittlungen“ unterteilt worden
seien. Das Polizeipräsidium Bielefeld teilte am 26. Februar 2019 dem nordrhein-westfälischen
Innenministerium mit, dass die Ermittlungskommission „Behördenermittlungen“
eine sehr umfangreiche tabellarische Übersicht der Kreispolizeibehörde Lippe
entdeckt habe, in der Hinweise auf Sexualdelikte aufgeführt seien und die offensichtlich
seit 1999 fortgeschrieben werde. Bei einzelnen Hinweisen seien Tagebuchnummern
aufgeführt, bei anderen jedoch nicht. Unter dem Datum 28. Januar 2002 sei der
Verdacht eingetragen, dass der nunmehr Hauptbeschuldigte ein damals 8-jähriges
Mädchen missbraucht habe. Da hierzu keine entsprechende Tagebuchnummer erfasst
sei, werde noch geprüft, ob seinerzeit ein Ermittlungsverfahren durch die
Kreispolizeibehörde Lippe eingeleitet worden sei.
Am 12. März 2019 teilte
die Kreispolizeibehörde Lippe mit, dass gegen zwei Beamte wegen fehlerhafter
Sachbearbeitung ein Disziplinar- und Strafverfahren eingeleitet werde. Bei
einer internen Betrachtung gab es demnach „gravierende Mängel in der
Sachbearbeitung“.[18]
Am 14. März 2019 wurde
auf eine Strafanzeige des Kripo-Chefs in Detmold hin der bisherige Leiter der
Ermittlungskommission „Camping“ zum Missbrauchsfall Lügde suspendiert. Er wird
der Strafvereitelung in einem anderen Sexualstrafverfahren „zum Nachteil einer
erwachsenen Frau“ und Siegelbruch in zwei weiteren Ermittlungsverfahren
verdächtigt. Mit den Ermittlungen beauftragt gewesen war er von 18. Dezember
2018 bis 4. Januar 2019; er wurde versetzt.[19]
Polizeipräsidium
Bielefeld und BAO „Eichwald“
Am 31. Januar 2019 wurde
durch das übergeordnete Polizeipräsidium Bielefeld die Besondere
Aufbauorganisation (BAO) „Eichwald“ eingerichtet, die aus den
bisherigen Ermittlern der Ermittlungskommission „Camping“ und Ermittlern der
Kriminalpolizei Bielefeld bestand.[20][21][22][23] Bereits im Februar 2019 wurde
der Leiter der BAO „Eichwald“ von seinen Aufgaben entbunden. Als Begründung gab
das nordrhein-westfälische Innenministerium auf Nachfrage des WDR bekannt,
„dies geschah höchstvorsorglich, um dem Anschein vorzubeugen, dass in diesem
Fall die Objektivität und Neutralität der Ermittlungen nicht gewährleistet sein
könnten“. Unter neuer Leitung der BAO mit rund 60 Beamten und 24
IT-Spezialisten wurden die Ermittlungen und Auswertungen der Beweismittel
fortgesetzt.[24]
Am 22. Februar 2019
erfolgte die erneute Tatortaufnahme auf dem Campingplatz und in der Wohnung
durch Spezialisten des Landeskriminalamts und des Polizeipräsidiums Bielefeld.
Dabei wurden weitere Beweismittel sichergestellt, darunter ein Computer, eine
Festplatte und 131 CDs. Bei den vorherigen Durchsuchungen der
Kreispolizeibehörde Lippe am 6. Dezember 2018 sowie nach Bildung der
Ermittlungskommission „Camping“ und den weiteren Durchsuchungen am 19. Dezember
2018 sowie am 19. und 25. Januar 2019 waren diese Beweismittel beim
Hauptbeschuldigten noch nicht aufgefunden worden. Auch bei erneuten Durchsuchungen,
unter anderem am 27. Februar 2019 mit einem Datenträgerspürhund, wurde weiteres Material
gefunden und beschlagnahmt, darunter ein USB-Stick.[25][26]
Drei Ermittler, die an
der Sichtung beteiligt waren, sind seit Ende Februar 2019 aufgrund der
psychischen Belastung dienstunfähig. Ein Mann und eine Frau sind dauerhaft
nicht mehr einsatzbereit.
Mit Beschluss des
Amtsgerichts Detmold wurde am 5. März 2019 der vom Hauptverdächtigen genutzte
Wohnwagen erneut untersucht. Die BAO „Eichwald“ konnte den Wohnwagen nicht
früher untersuchen, da die Verfahrensübernahme von der Kreispolizeibehörde
Lippe sehr unstrukturiert abgelaufen sein soll. Ebenso erfolgte die Durchsuchung
des Elternhauses eines Beschuldigten in Steinheim, wo im Keller mehrere
Unterlagen und CDs sichergestellt wurden. Bis zum 6. März 2019 wurden insgesamt
fünf Wohnwagen, zwei Wohnungen, ein Kellerraum und ein Auto durchsucht.[27]
Nachdem die
Staatsanwaltschaft im April 2019 die Holzhütte des Hauptverdächtigen, in der
der Missbrauch stattfand, freigegeben hatte, ließ sie der Betreiber des
Campingplatzes abreißen.[28] Dabei entdeckte der
Abrissunternehmer weitere drei CDs und zwei Disketten, die in einem Hohlraum im
Boden versteckt waren und bei den Durchsuchungen der Polizei nicht gefunden
worden waren. Ob auf den Datenträgern kinderpornografisches Material
gespeichert war, war zunächst unklar.[29] Während der Abrissarbeiten
stellte sich außerdem heraus, dass Polizei und Staatsanwaltschaft einen
Geräteverschlag des Hauptverdächtigen auf dem Campingplatz übersehen hatten.[30] Das Abrissunternehmen
entsorgte mehrere Kisten mit Inhalt, wodurch möglicherweise Beweismaterial
zerstört wurde.[31]
Mitverantwortung der
Jugendämter und der Polizeibehörden
Im Laufe der Ermittlungen
ergaben sich Hinweise auf schwere Versäumnisse im Vorgehen von Polizei,
Jugendämtern und Familienhilfe-Organisationen, was zur Einleitung von
Ermittlungsverfahren gegen insgesamt 14 Beschuldigte bei den genannten Behörden
durch die Staatsanwaltschaft Detmold führte.[32][33] Diese betrafen acht
Mitarbeiter der Jugendämter des niedersächsischen Landkreises
Hameln-Pyrmont und des nordrhein-westfälischen Kreises Lippe, vier Mitarbeiter von
Familienhilfe-Organisationen (zuständig für die Kontrolle von Andreas V. und
dessen Pflegetochter) sowie zwei Polizeibeamte des Kreises Lippe.[34] Die Generalstaatsanwaltschaft
Hamm als Aufsichtsbehörde der Detmolder Staatsanwaltschaft sah
in einer ersten Bewertung hingegen keine ausreichenden Gründe für Ermittlungen
gegen die beiden Polizisten und Jugendamtsmitarbeiter; für eine abschließende
Einschätzung sei erst ein weiterer Bericht erforderlich.[35]
Der Hauptverdächtige soll
bereits 2008 ein damals achtjähriges Mädchen auf dem Campingplatz missbraucht
haben. Im August 2016 gab ein Vater Hinweise an die Polizei, an das Jugendamt
und den Kinderschutzbund weiter. Die Polizei schaltete das Jugendamt ein, ermittelte
aber nicht. Ein Hinweis an die Staatsanwaltschaft erfolgte ebenso wenig. Am 18.
November 2016 gab eine Mitarbeiterin des Jobcenters Blomberg Hinweise zu Äußerungen des
Hauptverdächtigen, die auf sexuellen Missbrauch hindeuten konnten, nachdem
Andreas V. zusammen mit einem Mädchen im Jobcenter erschienen war. Erneut
reichte die Polizei den Hinweis nur an das Jugendamt weiter und verzichtete auf
eigene Ermittlungen.
Im August 2016 meldete
eine Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes aus dem Landkreis
Hameln-Pyrmont einen möglichen Kindesmissbrauch. Ein Vater zweier Mädchen hatte
sich zuvor mit Vorwürfen bei der Mitarbeiterin gemeldet. Das Jugendamt des
Landkreises Hameln-Pyrmont wollte den Fall prüfen.[36]
Im September 2016 äußerte
eine Psychologin im Kindergarten des Pflegekindes die Vermutung, dass beim
Pflegevater und späteren Hauptverdächtigen „Pädophilie im Spiel“ sein könne. Das
Jugendamt des Landkreises Hameln-Pyrmont sah dafür keine Anhaltspunkte.[37]
Am 20. Oktober 2016 gab
es erneut einen Hinweis auf sexuellen Missbrauch auf dem Campingplatz bei der
Polizei in Bad Pyrmont, als
eine Mutter Anzeige erstattete. Das Jugendamt des Landkreises Hameln-Pyrmont
hatte im Jahr 2016 ein sechsjähriges Mädchen als Pflegekind in die Obhut des
Hauptverdächtigen gegeben. Dies sei auf Wunsch der Mutter geschehen, die im
Landkreis Hameln-Pyrmont lebt. Beim Jugendamt des Kreises Lippe ging im Herbst
2016 ein Hinweis auf den Verdacht der Verwahrlosung des Pflegekinds ein, das Jugendamt
empfahl daraufhin wegen latenter Kindeswohlgefährdung dem Landkreis
Hameln-Pyrmont ein anderes Wohnumfeld für das Kind.[38] Trotz Anzeigen und
polizeilichen Ermittlungen wurde das Pflegekind von Andreas V. aber nicht wie
zunächst geplant am 31. Oktober 2018, sondern erst am 13. November 2018 durch
das Jugendamt Lippe aus der Obhut des Täters genommen und in eine
Bereitschaftspflegefamilie gebracht.
Dem Jugendamt des
Landkreises Hameln-Pyrmont wurde nach Angaben des Landrates Tjark Bartels Aktenmanipulation vorgeworfen.
Ein Mitarbeiter soll durch einen nachträglich hinzugefügten Vermerk einen
„verschönernden Eindruck“ von der Situation in der Familie vermittelt haben,
was am 15. Februar 2019 zur Freistellung von seinen Aufgaben führte.[39] Laut Bartels kam es zu einer
weiteren Aktenmanipulation durch eine Mitarbeiterin des Jugendamts des
Landkreises Hameln-Pyrmont, die ebenfalls von ihren Aufgaben freigestellt
wurde. Sie soll kurz vor der staatsanwaltschaftlichen Beschlagnahmung der
Jugendamtsakten einen Eintrag gelöscht haben, der sich auf ein Genogramm bezog und wonach der
Hauptverdächtige wiederholt Kontakt zu jüngeren Mädchen gesucht und sie in ein
Abhängigkeitsverhältnis gebracht habe.[40]
Bartels räumte Fehler des
Jugendamts des Landkreises Hameln-Pyrmont ein. Im Jahr 2016, als das Amt dem
späteren Hauptverdächtigen die Pflege des Kindes übertragen wollte, habe es
innerhalb von fünf Monaten drei voneinander unabhängige Hinweise auf seine
mögliche Pädophilie gegeben.[37]
Personalnachprüfungen
innerhalb der Polizei
Am 9. März 2019 wurde
durch einen Sonderermittler vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen bekannt,
dass in der Kreispolizei Lippe drei Polizeibeamte tätig sind, die vor Jahren
mit sexuell motivierten Taten aufgefallen waren. Keiner von ihnen war mit
Ermittlungen im Missbrauchsfall betraut gewesen.[41]
Motiviert durch den
Missbrauchsskandal beauftragte das nordrhein-westfälische Innenministerium nach
eigenen Angaben das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und
Personalangelegenheiten (LAFP) der Polizei NRW damit, nach
früheren Fällen zu suchen. Das LAFP berichtete dem Ministerium am 12. März 2019
in einer Erstauskunft, dass in 14 dieser Fälle in den letzten 10 Jahren die
betroffenen Beamten zwischenzeitlich entweder aus dem Dienst entfernt,
vorläufig des Dienstes enthoben, mit einem Verbot der Führung der
Dienstgeschäfte belegt wurden oder sie sich bereits im Ruhestand befinden.[42]
Die Staatsanwaltschaft
Detmold erhob im Mai 2019 vor dem Landgericht Detmold Anklage gegen den
56-jährigen Hauptverdächtige Andreas V. aus Lügde, der bis zum Prozessbeginn
Ende Juni 2019 in Untersuchungshaft behalten wird.[43][44] Sie wirft ihm 293 Fälle
des sexuellen
Missbrauchs von Schutzbefohlenen, schweren sexuellen Missbrauch von
Kindern und den Besitz von kinderpornografischem Material vor. Die Taten auf
dem Campingplatz umfassen einen Zeitraum zwischen Anfang 2008 und Dezember 2018
sowie den Sommer 1998. Sie richteten sich gegen 22 minderjährige Opfer. Zehn
Kinder sollen von ihm vergewaltigt worden sein. Er soll fast 880 Bilder und
Videos mit kinderpornografischen Inhalt besessen haben.[45]Im Prozess wird die
Staatsanwaltschaft voraussichtlich die gesetzliche Höchststrafe von 15 Jahre
Haft fordern; auch eine anschließende Sicherungsverwahrung stehe
im Raum.[46]
Mitangeklagt ist der
48-jährige Tatverdächtige Heiko V. aus Stade, der in mindestens vier Fällen an
Webcam-Übertragungen teilgenommen und zu dem dabei geschehenen Missbrauch zuvor
ausdrücklich aufgefordert haben soll. Bei ihm wurden fast 43.000
kinderpornografische Bilder und Videos gefunden.[45]
Ebenfalls mitangeklagt
ist der 33-jährige Tatverdächtige Mario S. aus Steinheim wegen 162 Taten an 17
Kindern, da er ebenfalls Kinder missbraucht und dabei gefilmt haben soll. Er
hatte sich 2010 eine Parzelle auf dem Campingplatz angemietet, wohin er ständig
Kinder eingeladen habe. Er galt in dem Fall anfangs als Mitläufer und erst nach
seiner Verhaftung erkannten die Ermittler das Ausmaß seiner Taten. Nach
Recherchen von Medien, wie dem NDR, dem WDR und
der Süddeutschen Zeitung,
habe er sich seit fast 20 Jahren an verschiedenen Orten an Kindern vergangen.
Die ersten Taten soll er als 15-jähriger begangen haben. Laut einem
psychiatrischen Gutachten liege eine pädophile Störung vor und es bestehe
hohe Rückfallgefahr.
Die Staatsanwaltschaft Detmold beantragte für den Fall einer Verurteilung
Sicherungsverwahrung[47] und wird voraussichtlich die
gesetzliche Höchststrafe von 15 Jahre Haft fordern.[46]
Am 27. Juni 2019 begann
vor dem Landgericht Detmold der Prozess gegen den Hauptbeschuldigten und zwei
weitere Angeklagte. Von den geschätzt 40 mutmaßlichen Opfern wurden 30
als Nebenkläger zugelassen.[48] Alle drei Angeklagten legten
am ersten Verhandlungstag Geständnisse ab.[2]
·
Lügde: Die Kinder, die keiner schützte. Reportage &
Dokumentation. ARD. Das Erste, 26. Juni 2019
4. ↑ Reiner
Burger, Düsseldorf: Erst 16 Jahre alt: Weiterer Verdächtiger bei
Missbrauchsfall von Lügde. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen
am 28. Februar 2019]).
10. ↑ Verschwundene
Daten in Lügde: „Die Kollegen arbeiten seit Jahren am Limit“. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen
am 28. Februar 2019]).
14. ↑ Verschwundene
Beweise: Missbrauchsfall Lügde gerät zum Polizeiskandal. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen
am 22. Februar 2019]).
35. ↑ Missbrauchsfall
Lügde: Ermittler prüfen Verdacht der Datenlöschung. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen
am 28. Februar 2019]).
Link originale: https://de.wikipedia.org/wiki/Missbrauchsfall_L%C3%BCgde
Nessun commento:
Posta un commento